Welche Verbesserungen kann ein Betriebsrat erwirken? Wo hat er Mitbestimmungsrechte? Und wo sollte man keine falschen Erwartungen an den Betriebsrat stellen, weil er keine Mitbestimmungsrechte hat?
Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Rupay Dahm, Berlin
Demokratie im Betrieb steigert Produktivität, Motivation und Lohngerechtigkeit
Der Betriebsrat ist die demokratisch gewählte Vertretung der Belegschaft. Er vertritt die Interessen der Mitarbeiter*innen gegenüber der Geschäftsführung. Dass dies auch dem Wohl des Betriebes dient, sieht man daran, dass mitbestimmte Unternehmen Krisen häufig besser überstehen und seltener Insolvenz anmelden müssen, als Betriebe ohne Betriebsrat. Betriebsräte steigern die Produktivität . Unternehmen mit Betriebsrat sind flexibler und innovativer weil sie mehr in Weiterbildung investieren (https://idw-online.de/de/news599576). Beschäftigte in Betrieben mit Betriebsrat und Tarifbindung kündigen seltener von selbst. In Unternehmen mit Betriebsrat sind die Löhne höher, Betriebsräte verbessern die Lohngerechtigkeit und verringern den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen – und dass, obwohl Betriebsräte gar kein Mitbestimmungsrecht über die Lohnhöhe haben. Trotzdem existieren Betriebsräte nur in etwa 11 Prozent der Unternehmen in Deutschland.
Was genau steht in der Macht von Betriebsräten?
Wo und wie können Betriebsräte mitgestalten? Der Betriebsrat kann jedes beliebige Problem thematisieren, auf der Betriebsversammlung diskutieren lassen oder Vorschläge erarbeiten und mit der Geschäftsführung verhandeln. Werden Probleme offen angesprochen und schnell gelöst, steigert dies das gegenseitige Vertrauen und die Wirtschaftlichkeit im Unternehmen. Der Kreativität des Betriebsrats sind dabei keine Grenzen gesetzt: Nach § 80 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) hat der Betriebsrat Maßnahmen, die dem Betrieb und der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber zu beantragen. Allerdings hat er nur im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Mitbestimmung das Recht, Vorschläge auch gegen den Willen der Geschäftsführung durchzusetzen (über die Einigungsstelle). In Bereichen, in denen kein Mitbestimmungsrecht vorgesehen ist, kann der Betriebsrat etwa durch Betriebsversammlungen Druck aufbauen um die Arbeitgeber*in zum Einlenken zu bewegen und eine freiwillige Betriebsvereinbarung nach § 88 BetrVG abschließen.
Mitbestimmung bei Dienstplänen (§ 87 I Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG)
Überstunden bis kurz vor den Burnout oder darüber hinaus – Fehlende Planungssicherheit wegen kurzfristiger Mitteilung der Schichten Dienstplanung – kurzfristige Änderung von Schichten – fehlende Langzeitplanung – zu lange oder zu kurze Pausen – Wochenendschichten: All diese Probleme können vom Betriebsrat geregelt werden. Der Betriebsrat hat ein umfassendes Mitbestimmungsrecht bei allen Fragen der Dienstplanung, also auch Gleitzeitregeln, Schichtrhythmen usw. Jeder einzelne Dienstplan ist nur mit Zustimmung des Betriebsrats wirksam und kann nicht ohne seine Zustimmung geändert werden. Einer Betriebsvereinbarung kann der Betriebsrat Ankündigungsfristen regeln ebenso wie die Zeiten und Verteilung der Schichten und was passieren soll wenn eine rote Linie an Überstunden überschritten wird.
Mitbestimmung bei Urlaub (§ 87 I Nr. 5 BetrVG)
Bis wann muss wie viel vom Urlaub beantragt sein? Wer hat Vorrang, wenn zu viele Mitarbeitende gleichzeitig Urlaub nehmen wollen, z.B. während der Schulferien oder am Jahresende: die Lieblinge der Chefin? Die Mitarbeitenden mit schulpflichtigen Kindern? Bis wann kann die Arbeitgeberin einen Urlaubsantrag ablehnen und ab wann gilt er als genehmigt? All diese Fragen kann der Betriebsrat durch eine Betriebsvereinbarung regeln.
Betriebsrat als Kontrollinstanz bei Einstellung, Versetzung und Dienstreisen (§ 99 BetrVG)
Bei personellen Maßnahmen (z.B. Einstellung, Eingruppierung, Versetzung) ist der Betriebsrat zu informieren und muss vorher zustimmen. Die Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats sind hier begrenzt und vom Gesetzgeber nicht gerade konstruktiv gestaltet: der Betriebsrat kann nur Blockieren und hat kein Initiativrecht. So kann er nicht durchsetzen, dass mehr Personal eingesetzt wird, sondern nur die Einstellung verhindern, bei besonderen Gründen. Ein zu niedriger Lohn ist kein Verweigerungsgrund. Allerdings kann der Betriebsrat widersprechen, wenn eine Mitarbeiter*in zu niedrig eingruppiert wird. Das gilt nicht nur in tarifgebundenen Betrieben sondern auch bei einer betrieblichen Entgeltordnung.
Besonders wirksam ist die Mitbestimmung des Betriebsrats bei unerwünschten Versetzungen. Dazu können auch Dienstreisen von wenigen Tagen gehören, wenn sie eine erhebliche Änderung der Arbeitsumstände zur Folge haben. Dann muss der Betriebsrat zustimmen. Seine Aufgabe ist es, zu prüfen, ob die betroffenen Mitarbeiter*innen durch die Versetzung oder Dienstreise z.B. in Konflikt mit familiären Pflichten kommen oder gegenüber anderen Mitarbeiter*innen bevorzugt oder benachteiligt werden. Bei Dienstreisen kann der Betriebsrat bei der Frage mitbestimmen, wann eine Dienstreise als Arbeitszeit gilt und wann nicht.
Begrenzte Mitbestimmung bei Fragen der Lohngerechtigkeit (§ 87 I Nr. 10 BetrVG)
Die genaue Höhe der Arbeitsentgelte kann der Betriebsrat nicht regeln. Dies ist Tarifverträgen vorbehalten. Der Betriebsrat kann aber regeln, welche Gruppen im Betrieb mehr oder weniger verdienen und in welchem Verhältnis die Betrieblichen Lohngruppen zueinander stehen, solange er nicht versucht die Höhe der Gehälter zu bestimmen. Außerdem kann er sich über die Höhe der Löhne durch Einsicht in die Bruttolohn- und -gehaltslisten informieren, § 80 Abs. 2 BetrVG. Und schließlich kann er die Lohnstruktur anonymisiert etwa in einer Betriebsversammlung zur Diskussion stellen, z.B. aufgeschlüsselt nach Männern und Frauen.
Mitbestimmung bei Sonderzahlungen, Boni, etc. (§ 87 I Nr. 11 BetrVG)
Wenn der Arbeitgeber, über das reguläre Arbeitsentgelt hinaus, freiwillige Jahresgratifikationen oder ähnliches verteilen will, hat der Betriebsrat zwar nicht bei der Gesamthöhe aber bei der Verteilung ein Mitspracherecht. Der Arbeitgeber kann also nicht einfach seinen Lieblingsmitarbeiter*innen ein freiwilliges „Extra“ zahlen. Macht er dies ohne Zustimmung des Betriebsrats, kann dieser auch im Nachhinein eine Neuverteilung verlangen.
Mitbestimmung bei Gesundheitsschutz (§ 87 I Nr. 7 BetrVG)
In Fragen des Gesundheitsschutzes können Betriebsräte weitreichend mitbestimmen, angefangen bei der Gestaltung von Gefährdungsbeurteilungen, BEM-Gesprächen oder allemöglichen betrieblichen Maßnahmen des Gesundheitsschutzes, der Ergonomie etc.
Ausgestaltung von Gruppenarbeit (§ 87 I Nr. 13 BetrVG)
Bei der Einführung von Gruppenarbeit, agilen Methoden, wie z.B. Scrum usw. hat der Betriebsrat ein weitreichendes Mitbestimmungsrecht vor allem um negative Auswirkungen, wie Stress, Burnout, Überlastung zu verhindern. Er kann Kontrollmechanismen, Ansprechpartner*innen, regelmäßige Auswertungen z.B. von Überstunden und Gegenmaßnahmen verlangen und in einer Betriebsvereinbarung regeln.
Offenes Ohr für die Belegschaft (§ 85 BetrVG)
Für unangenehme Personalgespräche können Mitarbeiter*innen ein Betriebsratsmitglied ihres Vertrauens hinzuziehen. Der Betriebsrat genießt besonderen Schutz vor Kündigungen und sonstige Benachteiligung, damit er sich schützend vor einzelne Kolleg*innen stellen kann. Beispielsweise kann er Beschwerden seiner Kolleg*innen zu jedem beliebigen Thema aufnehmen und an die Geschäftsführung weiterleiten, § 85 BetrVG.
Austausch unter Kolleg*innen organisieren – die Betriebsversammlung
Vor der Novemberrevolution und in der Nazizeit waren Versammlungen der Arbeiter*innen verboten. Laut dem Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat nunmehr das Recht, bis zu 6 Betriebsversammlungen im Jahr während der Arbeitszeit durchzuführen, § 43 Abs. 1 BetrVG Diese können genutzt werden, um über aktuelle Probleme zu informieren und diese zu diskutieren (mit oder ohne Geschäftsführung) z.B. über die wirtschaftliche Lage, eine zu hohe Arbeitsbelastung, über die Stimmung in der Belegschaft, Mobbing, Arbeitstechnik, über die Zufriedenheit der Kund*innen oder das Produkt, über Innovationen, agile Arbeitsorganisation in Teams, betrieblichen Umweltschutz oder sozialpolitische Themen, wie Mietpreise,
Kaum Mitsprache bei Kündigungen
Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören, sonst ist eine Kündigung unwirksam (§ 102 I BetrVG). Allerdings hat der Betriebsrat darüber hinaus kaum Einfluss auf die Kündigung. Nur bei sehr eng definierten Gründen kann er einer Kündigung widersprechen. Dadurch wird die Kündigung nicht unwirksam, die Mitarbeiter*in hat dann jedoch einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung Lohnfortzahlung für die Dauer eines Kündigungsprozesses – auch über die Kündigungsfrist hinaus (§ 102 Abs. 5 BetrVG).
Keine Mitsprache bei wirtschaftlichen Entscheidungen (§ 90 und § 111 BetrVG)
Bereits in den 1920er Jahren haben die Gewerkschaften eine Mitbestimmung des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten verlangt – ohne Erfolg. Bei allen wirtschaftlichen Entscheidungen (Investitionen, Produktentwicklung, Produktionsprozesse, Marktstrategie etc.) und vor allem bei Entscheidungen über die Existenz des Betriebs hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht: Betriebsschließungen, Betriebsverlegungen, Personalabbau, Outsourcing, Ersatz der Stammbelegschaft durch Leiharbeiter*innen oder Drittfirmen – all diese Maßnahmen kann der Arbeitgeber durchführen ohne Mitbestimmung des Betriebsrats. Dieser muss zwar „rechtzeitig“ informiert werden und kann einen Interessenausgleich und Sozialplan aushandeln. Damit können negative Auswirkungen abgefedert werden. Betriebsschließungen etc. können jedoch nur durch gewerkschaftliche Aktionen und massiven Druck unter Beteiligung von großen Teilen der Belegschaft und der Öffentlichkeit verhindert werden.
Sozialplanabfindungen bei Stilllegung, Outsourcing, Entlassungen oder Betriebsänderungen (§ 112 BetrVG)
Hat der Betriebsrat zwar kaum Mitbestimmungsmöglichkeiten bei der Entscheidung, ob z.B. ein Betriebsteil geschlossen wird, in ein anderes Gebäude umzieht oder Kolleg*innen entlassen werden , kann er jedoch einen Nachteilsausgleich in einem Sozialplan aushandeln. Dazu gehören Abfindungen aber auch die Übernahme von Umzugskosten, wenn Mitarbeiter*innen dem Betrieb „hinterherziehen“ müssen.
Öffentlichkeitsarbeit und Gespräche
Auch wenn Betriebsräte kein Mitbestimmungsrecht bei Fragen zum Produkt, zur Produktionsweise, Absatzstrategie, Produktentwicklung, Schließung von Betriebsteilen usw. haben, können sie jedoch dafür sorgen, dass alle Mitarbeiter*innen des Betriebs in Newslettern, Betriebsversammlungen oder über andere Kanäle informiert werden und ihre Meinung äußern können. Betriebsräte können dadurch offene Diskussionen organisieren und in Krisenzeiten gemeinsam nach kreativen Lösungen suchen.