Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende eines Kalenderjahres bzw. Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorher über den konkreten Urlaubsanspruch, sowie die Verfallfristen, belehrt hat und der Arbeitnehmer dennoch freiwillig keinen Urlaub genommen hat.
BAG, Urteil vom 19.2.2019 – 9 AZR 541/15
Von Rechtsanwalt für Arbeitsrecht Moritz Till Borchert, Berlin
Was war passiert?
Der Kläger, ein als Wissenschaftler beschäftigter Arbeitnehmer, war 12 Jahre bei seinem früheren Arbeitgeber beschäftigt. Zum Ende des Jahres 2013 endete das Arbeitsverhältnis. Aus den Jahren 2012 und 2013 standen dem Kläger noch insgesamt 51 Urlaubstage zu. Da der Arbeitgeber nicht zur Abgeltung dieser 51 nicht genommenen Urlaubstage bereit war, legte der Arbeitnehmer Klage ein. Es ging um knapp 12.000 Euro brutto.
Der Arbeitgeber beantragte Klageabweisung. Er vertrat die Ansicht, der nicht genommene Urlaubsanspruch sei zum Jahresende verfallen.
Der Kläger bekam in erster und dann auch in zweiter Instanz beim Landesarbeitsgericht Recht. Letzteres hatte allerdings angenommen, der Urlaubsanspruch sei verfallen, allerdings stünde dem Kläger Ersatzurlaub als Schadensersatz zu, da der Arbeitgeber seiner Pflicht, rechtzeitig Urlaub zu gewähren nicht nachgekommen sei.
Nun legte der Beklagte (Arbeitgeber) Revision beim BAG ein. Der Fall hatte europarechtlichen Bezug. Daher wandte sich das BAG an den europäischen Gerichtshof und warf die Frage auf, inwieweit Art. 7 Abs. 1 der RL 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) dem § 7 Abs. 3 Satz 1 BurlG, wonach der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden muss, entgegensteht. Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG war es so, dass nicht genommener Urlaub grundsätzlich verfällt.
Die Entscheidung
Nach der Rechtsprechung des EuGHs allerdings obliegt es dem Arbeitgeber, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen.
Notfalls muss er ihn dazu sogar auffordern Der Arbeitgeber muss rechtzeitig und eindeutig darüber informieren, dass der Urlaub am Ende des Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums verfallen werde, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht nimmt.
Der Arbeitgeber hat „konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun“.(EuGH, Urteil vom 06.11.2018, C-684/16)
Wegen dieser richtlinienkonformen Auslegung des § 7 BurlG wird nun das Landesarbeitsgericht nach der Zurückverweisung der Sache aufklären, ob der Arbeitgeber tatsächlich dafür gesorgt hat, dass der Kläger seinen Urlaub auch nimmt.
Hat er dies nicht, dürfte der Kläger seinen knapp 12.000 Euro brutto ein Stückchen näherkommen.
Was bleibt festzuhalten?
Der Urlaubsanspruch verfällt nicht automatisch
Der Urlaubsanspruch verfällt nur, wenn zwei Bedingungen vorliegen, nämlich:1. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer konkret und rechtzeitig auffordern, Urlaub zu nehmen
2. Der Arbeitgeber muss außerdem darauf hinweisen, dass anderenfalls der Urlaubsanspruch zum Jahresende bzw. zum Ende des Übertragungszeitraums verfallen wirdDer Arbeitgeber muss beweisen, diesen Pflichten nachgekommen zu sein