Fehlzeiten aufgrund einer Lebenskrise berechtigen nicht zur Kündigung durch den Arbeitgeber

LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 7.3.2017, Az.: 2 Sa 158/16

Von Rechtsanwalt Torben Diers

Der Fall
In dem vom LAG Mecklenburg-Vorpommern entschiedenen Fall hatte das Gericht über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung durch den Arbeitgeber zu befinden. Die Klägerin, welche als Anlagenfahrerin und Maschinenbedienerin im industriellen Produktionsbetrieb der Beklagten beschäftigt war, hatte in den Jahren 2011/2012, 2014 sowie 2015 insgesamt erhebliche Fehlzeiten angehäuft. Im Jahr 2011 litt die Klägerin unter einem eingeklemmten Nerv im Ellenbogen, weswegen sie an insgesamt 139 Kalendertagen arbeitsunfähig war. Im Jahr 2012 hatte die Klägerin fünf Ausfallzeiträume von insgesamt 84 Kalendertagen, welche im Wesentlichen ebenfalls durch den eingeklemmten Nerv im Ellenbogen bedingt waren. Im März 2014 erlitt die Klägerin einen Treppensturz, welcher zu einem Rückenleiden führte und die maßgebliche Ursache für insgesamt 81 Ausfalltage im Jahr 2014 darstellte. Im Jahr 2015 schließlich ließ sich die Klägerin von ihrem Ehemann scheiden, welcher ihr gegenüber gewalttätig geworden war und mit welchem sie ein gemeinsames Kind hatte. Die Klägerin geriet daraufhin in eine Lebenskrise, welche im Jahr 2015 zu Ausfallzeiten von insgesamt 54 Kalendertagen führte. Diagnostiziert wurde ärztlicherseits ein „posttraumatischer Belastungskomplex“, mit den Symptomen Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen. Zur Überzeugung des behandelnden Arztes und des Gerichts standen diese Beschwerden unzweifelhaft im Zusammenhang mit der belastenden Lebenssituation der Klägerin.

Im Oktober 2015 kündigte der Arbeitgeber aufgrund der hohen Fehlzeiten das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin. Diese erhob daraufhin vor dem Arbeitsgericht Schwerin Kündigungsschutzklage, welcher stattgegeben wurde. Die gegen dieses Urteil vom Arbeitgeber eingelegte Berufung wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen.

Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht stellte seiner Entscheidung zunächst den Prüfungsmaßstab voran, welcher bei der gerichtlichen Überprüfung von krankheitsbedingten Kündigungen grundsätzlich anzuwenden ist. Dieser Maßstab unterscheidet sich je nachdem, ob eine langanhaltende Krankheit gegeben ist oder die Fehlzeiten durch häufige (Kurz-) Erkrankungen bedingt sind. Das Gericht ging im zu entscheidenden Fall von der letzteren Fallkonstellation aus.

Danach kann eine Kündigung aufgrund der entstandenen Fehlzeiten zunächst nur dann sozial gerechtfertigt sein, wenn eine negative Gesundheitsprognose gestellt werden muss. Das heißt, im Kündigungszeitpunkt müssen Anhaltspunkte für die Annahme bestehen, dass es auch künftig zu weiteren Erkrankungen im bisherigen Umfang kommen werde. Des Weiteren müssen diese Fehlzeiten aber auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen geführt haben (etwa durch hohe Entgeltfortzahlungsverpflichtungen des Arbeitgebers). Schließlich ist in einem dritten Prüfungsschritt eine umfassende Interessenabwägung vorzunehmen, in dessen Rahmen festzustellen ist, ob die betrieblichen Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber trotzdem hingenommen werden müssen.

Das Landesarbeitsgericht stellte bei Anwendung dieses Prüfungsschemas zunächst fest, dass es hinsichtlich des eingeklemmten Nervs am Ellenbogen und des sturzbedingten Rückenleidens bereits an der negativen Gesundheitsprognose fehle. Diese Erkrankungen seien ihrer Art nach als temporär und zum Kündigungszeitpunkt vollständig ausgeheilt anzusehen gewesen. Folglich sei in der Zukunft nicht damit zu rechnen, dass es infolge dieser Erkrankungen erneut zu Fehlzeiten kommen werde, weshalb eine Kündigung hierauf nicht gestützt werden könne.

Hinsichtlich der posttraumatischen Beschwerdekomplexes hatte der Arbeitgeber im Verfahren vorgetragen, dass psychische Probleme nur durch eine Psychotherapie überwunden werden könnten, welche die Klägerin nicht absolviert habe. Somit sei davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Trennung innerlich noch nicht verarbeitet habe, weiterhin instabil sei und es daher zu weiteren Fehlzeiten kommen werde.

Das Landesarbeitsgericht wies diese Auffassung zurück:
Ausfallzeiten, welche auf eine trennungsbedingte Lebenskrise zurückzuführen seien, böten keine Grundlage für die Prognose weiterer Fehlzeiten, da derartige Krankheiten nach allgemeiner Lebenserfahrung überwunden würden. Die Beschwerden der Klägerin seien nach Auffassung des Gerichts eine natürliche menschliche Reaktion auf eine trennungsbedingte Lebenskrise und als solche ohne Weiteres nachvollziehbar. Es entspreche allerdings ebenso der allgemeinen Lebenserfahrung, dass der angesichts solcher Lebenskrisen verlorene Lebensmut mit dem zeitlichen Abstand zu dem auslösenden Ereignis wiederkehre. Denn im Regelfall stelle sich heraus, dass es trotz der erlebten Lebenskrise möglich sei, das Leben auch unter den veränderten Bedingungen geordnet und möglicherweise bald auch wieder mit Lebensfreude fortzuführen. Das Landesarbeitsgericht schloss sich dabei nicht der Auffassung des Arbeitgebers an, dass eine positive Gesundheitsprognose nur bei Absolvierung einer Psychotherapie gestellt werden könne.

Auf die mutmaßliche Dauer der Ausfallzeiten wegen der Lebenskrise komme es des Weiteren so gut wie gar nicht an. Denn erst dann, wenn festgestellt werden müsse, dass die Klägerin gar nicht mehr in der Lage sei, einen Ausweg aus der Lebenskrise zu finden, könnte man eine darauf aufbauende Kündigung ins Auge fassen.

WZ-ANWAELTE.DE TIPP

Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern ist eine Einzelfallentscheidung, welche von anderen Gerichten so nicht geteilt werden muss. Gleichwohl zeigt die Entscheidung jedoch auf, dass Arbeitgeber in der Regel einen großen Begründungsaufwand betreiben müssen, um die Gerichte von der sozialen Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung zu überzeugen. Maßgeblich kommt es dabei auf die negative Gesundheitsprognose an: Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für das Vorliegen der Kündigungsgründe, und damit auch für die Annahme, dass der Arbeitnehmer aufgrund der jeweiligen Erkrankungen künftig mindestens im gleichen Umfang wie bisher ausfallen werde. Dieser Beweis ist nicht leicht zu führen. Im Zusammenhang mit der Fallgruppe der psychischen Erkrankungen stellt die Entscheidung des LAG eine sinnvolle Ergänzung dar.

Kündigungsschutzklagen bei Kündigungen wegen Krankheit führen oftmals zum Erfolg, weswegen diese Maßnahme des Arbeitgebers im Regelfall gerichtlich überprüft werden sollte.

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