BAG, Urteil vom 20.10.2016 – 2 AZR 395/15
Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Ivailo Ziegenhagen
Der Fall
A ist als Kraftfahrzeugmechaniker in einer Niederlassung eines Kfz-Vertragshändler B tätig. Dort gibt es einen Betriebsrat. Ursprünglich war es Werkstattmitarbeitern erlaubt, benötigte Ersatzteile eigenhändig aus dem Lager zu entnehmen. Wurden solche Teile nicht einzeln verkauft oder in Fahrzeugen verbaut, wurden sie später auf einer vor den Regalen des Lagers eingerichteten Theke abgelegt und danach durch die beiden Lageristen wieder einsortiert.
Inventuren ergaben erhebliche Fehlbestände. B machte diese betriebsöffentlich und untersagte – mit Ausnahme der beiden Lageristen – allen Mitarbeitern für die Zukunft den Zutritt zum Lager und verbot ihnen, Teile aus den Regalen zu nehmen. Dennoch entstanden weiterhin Inventurdifferenzen. Daraufhin ließ B eine Videokamera installieren, mittels derer die Vorgänge im Ersatzteillager aufgezeichnet wurden. Von dieser Maßnahme hatten nur die Lageristen und der vor Ort eingesetzte Betriebsleiter Kenntnis. Auch den Betriebsrat beteiligte B nicht.
Eine Auswertung der Videoaufzeichnung ergab, dass B das Ersatzteillager betrat, aus einem Regal ein Paket Bremsklötze entnahm und es sodann in seiner Hosentasche verstaute. Bei einer Anhörung hatte A dies nicht bestritten.
B kündigte fristlos, hilfsweise fristgemäß. A ist der Ansicht, das ist unwirksam, weil er die Bremsklötze dienstlich nutzen wollte. Außerdem sei die Videoaufzeichnung unter Verletzung datenschutzrechtlicher Bestimmungen und von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats erlangt. Beides führe dazu, dass der Vorgang prozessual nicht verwertbar sei.
Die Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht hat A Recht gegeben, da die Videoaufzeichnung einen nicht berechtigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt und somit nicht verwendet werden durfte. Das BAG hob diese Entscheidung auf.
Ausgangspunkt ist, dass unter Rechtsverstößen, z.B. gegen das Datenschutzrecht, gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel gerichtlich berücksichtigt werden dürften. Ein Beweisverwertungsverbot kommt nur dann in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist.
Abzuwägen ist daher das Interesse an der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege und an der Verwertung des Beweismittels gegen den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht (informationelle Selbstbestimmung). Die Arbeitgeberin muss somit auch bei der Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung verhältnismäßig gehandelt haben.
Nach Ansicht des BAG hat B hier alles versucht, allerdings haben diese weniger einschneidenden Maßnahmen (Warnhinweis, Verbot des Lagerzutritts) nicht gefruchtet. Damit verblieb ihr nur als letztes Mittel die (heimliche) Videoüberwachung. Ein „dringender“ Tatverdacht, insbesondere gegen A, ist nicht erforderlich. Ein „einfacher“ Verdacht gegen die Gruppe der Kfz-Mechaniker reiche. Die unterbliebene Beteiligung des Betriebsratsrats ist zwar ein Verstoß gegen dessen Mitbestimmung (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG). Aber das allein führt nicht zu einem Beweisverwertungsverbot.
WZ-ANWAELTE.DE TIPP
Erneut hat das BAG einen Fahrplan vorgegeben, unter welchen Umständen heimliche Videoüberwachung verwertbar ist. Wichtig ist, dass immer vorher mildere Maßnahmen geprüft und angewendet werden müssen. Ein „einfacher“ Verdacht genügt und zwar auch gegen eine abgrenzbare Gruppe. Sofern man den Betriebsrat nicht beteiligt, ist das für die Kündigung irrelevant. Allerdings droht dann ein Unterlassungsvorgehen des Betriebsrats.