Die Belastungsstatistik

Ein gläserner Mitarbeiter lässt sich leicht steuern. Daher tendieren Arbeitgeber zur maximalen Durchleuchtung. So sollen Arbeitsabläufe optimiert und Arbeitskräfte bestmöglich eingesetzt werden. Das geht jedoch nicht uneingeschränkt, wie kürzlich das Bundesarbeitsgericht entschied.
BAG, Beschluss vom 25.4.2017 – 1 ABR 46/15
Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Ivailo Ziegenhagen

Der Fall
Der Arbeitgeber betreibt Servicestellen (Callcenter) und möchte seine Geschäftsabläufe optimieren und hat hierfür eine „Belastungsstatistik“ eingeführt (durch den Spruch einer Einigungsstelle). Sie soll dazu dienen, Ungleichgewichte in der Belastungssituation von Gruppen und Mitarbeitern zu erkennen, zu analysieren und steuernd einzugreifen.

Dabei werden Daten der Mitarbeiter erhoben, z. B.:

Diese individuellen Werte werden ins Verhältnis zu diversen Durchschnittswerten gesetzt. Für alle Daten gibt es eine 1-Woche, 4-Wochen und 26-Wochen-Sicht. Sofern es hierbei erhebliche Abweichungen zu bestimmten Durchschnittswerten gibt, hat der Gruppenleiter seine Führungsverantwortung wahrzunehmen, soll das Gespräch suchen und Maßnahmen ergreifen, um die Unterschiede zu beheben.

Der Gesamtbetriebsrat hält diese Regelung für unwirksam. Denn sie führt aufgrund der Kennzahlen und der zu erstellenden Berichte zu einer umfassenden Leistungs- und Verhaltensüberwachung der Arbeitnehmer mit einer unverhältnismäßigen Kontrolldichte.

Das BAG gab dem Gesamtbetriebsrat Recht.

Arbeitnehmer sind vor unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer UÃàberwachungseinrichtungen zu bewahren, es sei denn, schützenswerte Belange des Arbeitgebers können dies rechtfertigen.

Die „Belastungsstatistik“ regelt die lückenlose und dauerhafte sowie sehr detaillierte automatisierte Erfassung des wesentlichen Arbeitsspektrums der Sachbearbeiter. Er muss folglich während der gesamten Dauer seiner Arbeitszeit davon ausgehen, dass er auf elektronischem Wege anhand einer Vielzahl von quantitativen Kriterien durchgehend detailliert erfasst und einer Auswertung auf den Ebenen einer 1-Wochen-, 4-Wochen- und 26-Wochen- Sicht zugeführt wird. Er steht somit unter ständiger Beobachtung. Dies erzeugt einen schwerwiegenden und zudem dauerhaften Anpassungsdruck, möglichst in allen maßgebenden Arbeitsbereichen in Bezug auf die Kennzahlen unauffällig zu arbeiten, um nicht aufgrund „erheblicher Abweichungen“ später Personalgesprächen oder gar personellen Maßnahmen ausgesetzt zu sein. Damit sind sie in ihrer Freiheit, ihr Handeln aus eigener Selbstbestimmung zu planen und zu gestalten, wesentlich gehemmt.

Es fehlt an einer hinreichenden Rechtfertigung durch überwiegend schutzwürdige Belange der Arbeitgeberin. Zwar ist es ein legitimes Anliegen eines Arbeitgebers, eine unterschiedliche Belastungssituation der Arbeitnehmer und deren Ursachen in Erfahrung zu bringen, um eine sach- und mitarbeitergerechte Arbeitssteuerung zu ermöglichen und die Effizienz der Arbeitsorganisation zu verbessern. Hier jedoch wird nur die Erledigung von Arbeitsaufgaben erfasst, ohne Berücksichtigung des Schweregrads der konkreten Aufgabe und der Qualität des Arbeitsergebnisses. Die Erfassung ist nicht zeitlich befristetet. Es gibt keine Rückkopplungen.

WZ-ANWAELTE.DE TIPP

Die Entscheidung ist sehr lesenswert. Denn sie zeigt, dass eine auch technisierte Steuerung möglich ist. Aber: Sie muss verhältnismäßig sein und man benötigt gute Gründe, um bestimmte Kennzahlen über eine bestimmte Dauer erfassen und auswerten zu können. Zudem müssen die Zwecke sorgfältig definiert und Löschungsfristen eingehalten werden.

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