Wer verspätet oder unvollständig zahlt, muss 40 ‚Ǩ „Strafe“ zahlen – so steht es seit 2014 im § 288 Abs. 5 BGB. Gilt das auch für Arbeitgeber, die nicht korrekt bezahlen? Die Frage ist von den Gerichten noch nicht abschließend geklärt. Eine Stellungnahme.
Von Rechtsanwalt Nikolai Rupay Dahm
Das Problem
Der Arbeitgeber zahlt jeden Monat etwa 20 Euro zu wenig, obwohl nach Gesetz oder Tarifvertrag es klar ist, dass er diese zu zahlen hat. Die Arbeitnehmerin muss nun eigentlich jeden Monat getrennt einklagen. Die Anwaltsgebühren belaufen sich bereits auf etwa 200 ‚Ǩ, es lohnt sich also kaum, erst wenn man 10 Monate zusammen nimmt. Wartet man jedoch zehn Monate, so sind die ersten sechs oder sieben davon schon wieder von den 3-monatigen Ausschlussfristen verloren.
Was tun?
Zunächst einmal können Sie als Arbeitnehmer/in die Ausschlussfrist für‚Äôs erste dadurch hemmen, dass Sie selbst die offenen Lohnansprüche einfordern – auf jeden Fall schriftlich! Dafür reicht ein Zweizeiler, wie z.B.: „Sie haben mir mit der Lohnabrechnung für Mai 2016 wieder 20 ‚Ǩ zu wenig bezahlt. Bitte zahlen Sie das innerhalb von 14 Tagen nach.“
Sollte nichts passieren, muss man prüfen, ob laut Arbeitsvertrag oder Tarifvertrag die Ausschlussfristen schon mit der Geltendmachung (also dem einfachen Schreiben) eingehalten sind, oder ob man innerhalb von weiteren 3 Monaten vor Gericht klagen muss. Eine solche Klage kann man auch ohne anwaltliche Hilfe einreichen, sogar mündlich bei der Antragstelle.
Die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB
Möglicherweise hilft auch der Anspruch auf die 40-Euro-Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB, um den Arbeitgeber vom Zahlungsverzug abzuschrecken.
Der Anspruch aus § 288 Abs. 5 BGB ist auch auf Arbeitsverhältnisse anwendbar und – ebenso wenig wie der Anspruch aus § 288 Abs. 5 BGB – nicht durch § 12a ArbGG ausgeschlossen (Lembke, FA 2014, 357, 358). Zwar hat das Arbeitsgericht Düsseldorf die Ansicht vertreten, § 288 Abs. 5 BGB sei zwar auf Arbeitsverhältnisse anwendbar, jedoch durch § 12 a ArbGG ausgeschlossen. Die Frage ist jedoch noch nicht höchstrichterlich entschieden, und noch völlig offen (siehe Kommentar vom Vors. Richter am Bundesarbeitsgericht a.D. Düwell, juris PR-ArbR 33/2016 Anm.1).
Der Auffassung des Arbeitsgerichts Düsseldorf, wonach der Anspruch aus § 288 Abs. 5 BGB durch § 12a ArbGG ausgeschlossen sei, ist nicht zu folgen. Sie widerspricht sowohl den europarechtlichen Vorgaben als auch einer teleologischen Auslegung nach Sinn und Zweck des § 12a ArbGG.
Die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB dient der Abschreckung von säumigen Zahlungen und soll die durch den Zahlungsverzug verursachten, nicht bezifferbaren Unannehmlichkeiten abmildern.
§ 288 Abs. 5 BGB beruht auf der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 und ist europarechtskonform auszulegen. So ist es in den Absätzen 19 und 20 der Begründung der Richtlinie ausdrücklich klargestellt, dass der Gläubiger eines säumigen Schuldners neben einem Anspruch auf Zahlung der Pauschale für interne Beitreibungskosten auch Anspruch auf Erstattung der übrigen Verzugsschäden wie etwa Rechtsanwaltskosten hat. Die Pauschale soll somit ausdrücklich nicht die – von § 12a ArbGG erfassten – Anwalts- und Prozesskosten ersetzen, sondern den durch den Zahlungsverzug internen Zeitaufwand entschädigen und darüber hinaus der Abschreckung dienen.
Art. 6 der Richtlinie lautet:
(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass in Fällen, in denen gemäß Artikel 3 oder 4 im Geschäftsverkehr Verzugszinsen zu zahlen sind, der Gläubiger gegenüber dem Schuldner einen Anspruch auf Zahlung eines Pauschalbetrags von mindestens 40 EUR hat.
…
(3) Der Gläubiger hat gegenüber dem Schuldner zusätzlich zu dem in Absatz 1 genannten Pauschalbetrag einen Anspruch auf angemessenen Ersatz aller durch den Zahlungsverzug des Schuldners bedingten Beitreibungskosten, die diesen Pauschalbetrag überschreiten. Zu diesen Kosten können auch Ausgaben zählen, die durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts oder eines Inkassounternehmens entstehen.
Es wird also klar getrennt zwischen der Pauschale einerseits und den Rechtsverfolgungskosten andererseits.
Die Regelung des § 12‚Äâa Abs. 1 Satz 1 ArbGG betrifft hingegen lediglich die von den Bestimmungen der §§ 91‚Äâff. ZPO geregelten Kosten, also den Kostenerstattungsanspruch von der obsiegenden Partei gegenüber der unterliegenden.
Hinzu kommt, dass allein ein außerprozessuales Verhalten zu dem Anspruch aus § 288 Abs. 5 BGB führt, nämlich die Verletzung der Lohnzahlungspflicht des Arbeitgebers. Ein arbeitsgerichtliches Streitverfahren ist in diesem Zeitpunkt noch gar nicht anhängig. § 12‚Äâa kann aber nur Kostenerstattungsansprüche erfassen, die im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens ihren Entstehungsgrund haben (GMP/Germelmann ArbGG § 12a Rn. 5-12).
Sinn und Zweck des § 12a ArbGG als Arbeitnehmerschutzrecht ist es, dass arbeitsgerichtliche Verfahren zugunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu verbilligen, indem die voraussichtlichen Prozesskosten auch im Falle des Unterliegens begrenzt und kalkulierbarer werden.
So hat das Bundesverfassungsgericht hat den Zweck des Arbeitnehmerschutzes durch § 12a ArbGG klargestellt:
Der Gesetzgeber hat beim ArbGG besonders berücksichtigt, daß der Arbeitnehmer im Arbeitsgerichtsverfahren typischerweise als der sozial Schwächere dem sozial stärkeren Arbeitgeber gegenübersteht. Dem ist etwa bei der Regelung über die Gerichtskosten Rechnung getragen. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 ArbGG entsteht im Verfahren des ersten Rechtszuges lediglich eine einzige Gerichtsgebühr, die bei niedrigen Streitwerten zudem noch niedriger liegt als jede der im Zivilprozeß anfallenden Gebühren (§ 12 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Das soll dem Schutz des sozial Schwachen dienen, für den die Kostenlast niedriger und das Prozeßrisiko kalkulierbarer wird. Mit solchen Überlegungen läßt sich auch der Ausschluß der Erstattung der Kosten des Rechtsanwalts rechtfertigen. (BVerfG 20. 7. 1971 – 1 BvR 231/69)
Demenstprechend widerspräche es dem Zweck des § 12 a ArbGG, diesen so auf die Pauschale nach § 288 Abs. 5 BGB anzuwenden, dass diese ausgeschlossen wird, da sie gerade nicht die Kostenlast oder das Prozessrisiko für Arbeitnehmer/innen steigert. Die Rechtsprechung des Arbeitsgerichts Düsseldorf ist daher zu revidieren. Dies würde endlich dazu beitragen, säumige Arbeitgeber wirksam zu disziplinieren.