Verbot befristeter Leiharbeit

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Beschluss vom 8. Januar 2014, 3 TaBV 43/13

Beschluss

Im Beschlussverfahren mit den Beteiligten pp.

hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein auf die Anhörung der Beteiligten am 08.01.2014 durch die Vizepräsidentin des Landesarbeitsgerichts […] als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richter […] als Beisitzer und d. ehrenamtlichen Richter […] als Beisitzer

beschlossen:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Neumünster vom 10.07.2013 – 3 BV 15 d/13 – wird zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten um die Ersetzung der Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur befristeten Einstellung einer Leiharbeitnehmerin.

Die Beteiligte zu 1 ist ein in N. ansässiges Tochterunternehmen eines weltweit im Bereich der Gesundheitsvorsorge agierenden Konzerns. Sie stellt am Standort chirurgisches Nahtmaterial und Implantate her. Der Beteiligte zu 2 ist der bei ihr gebildete Betriebsrat.

Im Januar 2013 schrieb die Beteiligte zu 1 innerbetrieblich eine befristet ab 01.04.2013 für zwei Jahre zu besetzende Position für die Assistenz im Bereich FOD (Franchise Operations Development) aus. Auf dieser Stelle war die Leiharbeitnehmerin P. bereits seit 01.02.2011 befristet bis zum 31.3.2013 tätig. Es bewarb sich intern lediglich eine Mitarbeiterin, die jedoch letztendlich eine andere unbefristete Position erhielt. Daraufhin entschied sich die Beteiligte zu 1, diesen Beschäftigungsbedarf befristet für zwei Jahre wieder über das Zeitarbeitsunternehmen R. mit Frau P. abzudecken. Sie bat den Betriebsrat mit Anhörungsschreiben vom 18.03.2013 um Erteilung der Zustimmung (Anl. Ast. 1 – Bl. 7 f d. A.). Dieser verweigerte am 21.03.2013 seine Zustimmung, soweit hier noch von Bedeutung gestützt auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG sowie § 14 Abs. 3 S. 1 AÜG (Anl. Ast. 1 – Bl. 9 und Anl. Ast. 3 – Bl. 19 d. A.).

Die vorläufige Beschäftigung der betreffenden Leiharbeitnehmerin ab dem 01.04.2013 erfolgt ohne Widerspruch des Betriebsrats.

Grundsätzlich wird im Bereich FOD, in dem 10 Ingenieure und 4 Führungskräfte auf Planstellen arbeiten, eine Assistenzstelle benötigt. Diesen 14 Stammarbeitskräften muss zugearbeitet werden. Planstellen sind bei der Beteiligten zu 1 über den sog. „Headcount“ mit dem Konzern abgestimmt. Der amerikanisch geführte Konzern hat eine solche Assistenzplanstelle derzeit nicht genehmigt.

Der Betriebsrat hat im Zusammenhang mit der Zustimmungsverweigerung stets die Ansicht vertreten, die Beteiligte zu 1 decke mit der vorliegenden Einstellung keinen vorübergehenden Bedarf ab, sondern einen klassischen Dauerbedarf auf einem Dauerarbeitsplatz. Sie verstoße damit gegen § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und Europarecht.

Die Beteiligte zu 1 hat stets die Auffassung vertreten, § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG stelle keine Verbotsnorm im Sinne des § 99 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG dar. Zudem sei eine Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern auch nach der ab dem 01.12.2011 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG erlaubt. Das Wort „vorübergehend“ stelle lediglich klar, dass das deutsche Modell der Arbeitnehmerüberlassung der europarechtlichen Vorgabe entspreche.

Die Beteiligte zu 1 hat beantragt,

die Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur befristeten Einstellung der Frau B. P. als Assistentin im Bereich FOD für den befristeten Zeitraum vom 01. April 2013 bis 31. März 2015 zu ersetzen.

Der Beteiligte zu 2 hat beantragt,

den Antrag abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat den am 10.04.2013 eingegangenen Zustimmungsersetzungsantrag der Beteiligten zu 1 mit Beschluss vom 10.07.2013 abgewiesen. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, die Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern sei gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG unzulässig. Es habe eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung zu erfolgen. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des erstinstanzlichen Beschlusses vom 10.07.2013 verwiesen.

Gegen diesen der Beteiligten zu 1 am 29.07.2013 zugestellten Beschluss hat sie am 19.08.2013 Beschwerde eingelegt, die am 29.10.2013 begründet wurde.

Die Beteiligte zu 1 wiederholt und vertieft im Wesentlichen ihr erstinstanzliches Vorbringen. Des Weiteren trägt sie vor, es handele sich bei der Assistenzstelle im Bereich FOD nicht um einen Dauerarbeitsplatz, da für sie kein Headcount bestehe. Abgesehen davon sei die Besetzung von Dauerarbeitsplätzen mit Leiharbeitnehmern auch nach der ab 01.12.2011 geltenden Fassung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG zulässig. Der Begriff „vorübergehend“ sei personenbezogen. Auch die Leiharbeitsrichtlinie 2008/104 EG vom 19.11.2008 stehe dem nicht entgegen.

Die Beteiligte zu 1 beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Neumünster vom 10.07.2013, Az. 3 BV 15 d/13 abzuändern und die Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur befristeten Einstellung der Frau B. P. als Assistentin im Bereich FOD für den befristeten Zeitraum vom 1. April 2013 bis zum 31. März 2015 zu ersetzen.

Der Beteiligte zu 2 beantragt,

die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Er hält den angefochtenen Beschluss sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Es liege vorliegend keine nur vorübergehende Arbeitnehmerüberlassung mehr vor. Das ergebe sich schon daraus, dass die Leiharbeitnehmerin P. diesen Assistenzarbeitsplatz dann bereits insgesamt 4 Jahre besetze und eine Assistenz im Bereich FOD generell benötigt werde. Zudem könne es zur Beantwortung der Frage, ob ein Dauerbeschäftigungsbedarf vorliege und zulässig mit Leiharbeit gedeckt werde, nicht darauf ankommen, ob der Arbeitsplatz im Stellenplan fest eingeplant ist.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Antrag der Beteiligten zu 1, die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur befristeten Einstellung der Leiharbeitnehmerin P. gerichtlich zu ersetzen, ist zu Recht zurückgewiesen worden. Die Einstellung verstößt gegen ein Gesetz (§ 99 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG). Sie widerspricht dem aus § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG folgenden Verbot einer mehr als vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung.

A. Die Beschwerde ist statthaft (§ 87 Abs. 1 ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 2, 89 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG).

Das notwendige Rechtsschutzbedürfnis liegt vor. Die Beteiligte zu 1 hat den Betriebsrat gem. § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG i.V.m. § 99 BetrVG vor der Übernahme eines Leiharbeitnehmers zu beteiligen. Auch die Verlängerung eines Einsatzes von Leiharbeitnehmern ist als Einstellung nach § 99 Abs. 1 BetrVG, § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG mitbestimmungspflichtig.

B. Die Beschwerde hat jedoch keinen Erfolg. Die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung der Leiharbeitnehmerin war nicht zu ersetzen. Der Betriebsrat hat die Zustimmung vielmehr zu Recht verweigert, da sie im Sinne von § 99 Abs. 2 Satz 1 BetrVG gegen ein Gesetz verstößt.

1. Die Beteiligte zu 1 hat das Zustimmungsersetzungsverfahren ordnungsgemäß eingeleitet. Die von der Beteiligten zu 1 gemachten Angaben im Zustimmungsverfahren sind nicht offenkundig unvollständig. Der Betriebsrat ist auch ausreichend unterrichtet worden. Die Beteiligte zu 1 hat den Betriebsrat über die Person der Leiharbeitnehmerin sowie über den Arbeitsplatz, auf dem diese weiter eingesetzt werden soll und über die beabsichtigte Einsatzdauer informiert. Da die betreffende Leiharbeitnehmerin im Betrieb schon tätig war, konnte die Beteiligte zu 1 davon ausgehen, den Betriebsrat vollständig unterrichtet zu haben, zumal er keine weitergehende Unterrichtung verlangt hat (BAG vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/11 – juris, Rz. 19 f m.w.N.). Davon gehen die Beteiligten auch übereinstimmend aus.

2. Der Betriebsrat hat nach der Anhörung vom 18.03.2013 in seinem Schreiben vom 21.03.2013 gerügt, die geplante personelle Maßnahme verstoße gegen das AÜG und damit gegen ein Gesetz im Sinne des § 99 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Er hat dieses auch detailliert unter Hinweis auf Gesetzeswortlaut, Europarecht und Literatur begründet. Auf die Anlage ASt 1- Bl. 9 f d. A., und die Anlage Ast. 3 – Bl. 19 d. A. wird verwiesen. Auf die Schlüssigkeit der Begründung kommt es nicht an. Daher hat der Betriebsrat in hinreichender Weise den Zustimmungsverweigerungsgrund „Verstoß einer Maßnahme gegen ein Gesetz“ in Anspruch genommen, so dass die Zustimmung des Betriebsrats auch nicht gem. § 99 Abs. 3 Satz 2 BetrVG als erteilt gilt.

3. Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung ist nicht gerichtlich zu ersetzen, da die beabsichtigte befristete Einstellung der Leiharbeitnehmerin P. gegen ein Gesetz verstößt.

a) Gem. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung zu einer personellen Maßnahme u.a. verweigern, wenn die Maßnahme selbst gegen ein Gesetz verstößt. Geht es um die Übernahme eines Leiharbeitnehmers in den Betrieb des Entleihers und damit um eine Einstellung i.S.d. § 99 Abs. 1 BetrVG, muss diese als solche untersagt sein. Dazu bedarf es zwar keiner Verbotsnorm im technischen Sinne, die unmittelbar die Unwirksamkeit der Maßnahme herbeiführt. Der Zweck der betreffenden Norm, die Einstellung selbst zu verhindern, muss aber hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen. Der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG ist bei Einstellungen lediglich dann gegeben, wenn der Zweck der Verbotsnorm nur dadurch erreicht werden kann, dass die Einstellung insgesamt unterbleibt (BAG vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/11 – zitiert nach Juris, m.w.N.; BAG vom 01.06.2011 – 7 ABR 117/09 – zitiert nach juris, Rz. 42 m.w.N.).

b) § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in der ab 01.12.2011 geltenden Fassung verbietet die mehr als nur vorübergehende Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher. Insoweit handelt es sich nicht lediglich um einen unverbindlichen Programmsatz. Die Bestimmung definiert auch nicht lediglich den Anwendungsbereich des AÜG (BAG vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/13 – juris, Rz. 32 ff). Das Verbot der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung ist durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Es dient dem Schutz des Leiharbeitnehmers, begrenzt aber auch im kollektiven Interesse der Belegschaft des Entleiherbetriebes deren Spaltung (BAG a.a.O., Rz. 42, m.w.N.).

c) Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 1 ist § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ein Verbotsgesetz im Sinne von § 99 Abs. 2 Ziff. 1 BetrVG, dessen Verletzung den Betriebsrat zur Verweigerung der Zustimmung zur Einstellung berechtigt. Der Zweck der Regelung, die mehr als nur vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern zu verbieten, kann nur erreicht werden, wenn die Einstellung insgesamt unterbleibt (BAG vom 10.07.2013 – 7 ABR 91/11 – Rz. 48 mit einer Vielzahl von Nachweisen; LAG Niedersachsen v. 19.09.2012 – 17 TaBV 124/11, Rz. 33 ff; LAG Berlin-Brandenburg vom 1.3.2013 – 9 TaBV 2112/12, Rz. 45; vom 09.01.2013 – 24 TaBV 1869/12 – und vom 19.12.2012 – 4 TaBV 1163/12, jeweils zitiert nach juris; Fitting, BetrVG, 26. Aufl. § 99 Rn. 192a; Hamann, NZA 2011, 70, 75).

d) Die von der Beteiligten zu 1 beabsichtigte, erneut auf zwei Jahre befristete Einstellung der Leiharbeitnehmerin P… ist nicht nur „vorübergehend“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Sie verstößt deshalb gegen das in dieser Vorschrift enthaltene Verbot.

aa) Der Begriff „vorübergehend“ bedarf mangels Konkretisierung im Gesetzestext der Auslegung.

bb) Die am 5.12.2008 in Kraft getretene Richtlinie 2008/104/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (künftig: Leiharbeitsrichtlinie), die nach Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie bis zum 5.12.2011 umzusetzen war, ist bei der Auslegung des Begriffs „vorübergehend“ zu berücksichtigen. Innerstaatliche Gerichte müssen das nationale Recht so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auslegen. Sie müssen es so weit wie möglich unterlassen, das innerstaatliche Recht in einer Weise auszulegen, die die Erreichung des mit dieser Richtlinie verfolgten Zieles nach Ablauf der Umsetzungsfrist ernsthaft gefährden würde. Das gesamte nationale Recht ist deshalb im Licht des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen (EuGH vom 16.7.2009 – C 12/08 (Mono Car Styling), Rz. 60, 61; BAG vom 23.3.2011, 5 AZR 7/10 – zitiert nach juris, Rz. 26).

cc) Es kann hier dahingestellt werden, dass eine „vorübergehende Überlassung eines Leiharbeitnehmers“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in Verbindung mit der Leiharbeitsrichtlinie dann nicht mehr vorliegt, wenn dieser beim Entleiher – befristet oder unbefristet beschäftigt – Daueraufgaben wahrnimmt, beispielsweise in Form einer unbefristeten Beschäftigung auf einem Stammarbeitsplatz (so BAG vom 10.7.2013 – 7 ABR 91/11 zur Frage des unbefristeten Einsatzes auf einem Stammarbeitsplatz). Es ist hier auch nicht zu entscheiden, ob es sich nicht mehr um eine „vorübergehende“ Beschäftigung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in Verbindung mit der Leiharbeitsrichtlinie handelt, wenn der Leiharbeitnehmer in Form einer befristeten Beschäftigung anstelle eines Stammarbeitnehmers auf einem klassischen Stammarbeitsplatz eingesetzt wird – wofür viel spricht (so. u.a. LAG Berlin vom 21.03.2013 – 18 TaBV 2150/12; vom 01.03.2013 – 9 TaBV 2112/12; vom 9.1.2013 – 24 TaBV 1969/12; LAG Niedersachsen 19.09.2012 – 17 TaBV 124/11 – zitiert nach juris Rn. 30; ArbG Cottbus 25.04.2012 – 2 BV 8/12 – zitiert nach juris Rn. 32; ArbG Cottbus 22.08.2012 – 4 BV 2/12 – zitiert nach juris Rn. 58; Bartl/Romanowski, NZA 2012, 845 ff.; Fitting, BetrVG § 99 Rn. 192a; Brors, „Vorübergehend“ – AuR 2013, S. 108 ff; Hamann, NZA 2011, 70, 72; Preis/Sansone, Anforderungen der Leiharbeitsrichtlinie der Europäischen Union an das deutsche Recht der Arbeitnehmerüberlassung, Rechtsgutachten, S. 10; Sansone, Gleichstellung von Leiharbeitnehmern nach deutschem und Unionsrecht, S. 571; Schüren/Wank, RdA 2011, 1, 3; a.A. LAG Düsseldorf 02.10.2012 – 17 TaBV 38/12 – zitiert nach juris Rn. 50; ArbG Leipzig 15.02.2012 – 11 BV 79/11 – zitiert nach juris Rn. 47; ArbG Offenbach 01.08.2012 – 10 BV 1/12 – zitiert nach juris Rn. 49; Teusch/Verstege, NZA 2012, 1326, 1328 f.; Thü- sing/Stiebert, DB 2012, 632 ff.).

Eine nur „vorübergehende Überlassung eines Leiharbeitnehmers“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG in Verbindung mit der Leiharbeitsrichtlinie liegt aber auch dann nicht mehr vor, wenn dieser beim Entleiher – befristet oder unbefristet beschäftigt – Daueraufgaben erfüllt, ohne einen Stammarbeitnehmer abgelöst zu haben und diese vom Leiharbeitnehmer nicht nur aushilfsweise wahrgenommen werden. Neben der arbeitnehmer- ist daher auch eine arbeitsplatzbezogene Betrachtung dahingehend erforderlich, dass beim Entleiher durch die Arbeitnehmerüberlassung kein Dauerbeschäftigungsbedarf abgedeckt wird (so Sansone, ebd., S. 571; auch LAG Niedersachsen vom 19.09.2012 – 17 TaBV 124/11, RZ. 30). Würde nur auf die Befristung des Einsatzes des Leiharbeitnehmers, also eine rein arbeitnehmerbezogene Betrachtung erfolgen, ermöglichte dieses ein „Karussell für Leiharbeitnehmer“, mit dem durch aufeinanderfolgenden Einsatz verschiedener Leiharbeitnehmer ein Dauerarbeitsplatz besetzt oder Daueraufgaben bewältigt werden. Dann dient die Überlassung aber nur der vom deutschen Gesetzgeber und nach Europarecht unerwünschten Ersetzung eines an sich notwendigen Stammarbeitnehmers und damit einer dauerhaften Aufspaltung der Belegschaft in Stammarbeitnehmer und Leiharbeitnehmer (siehe Düwell, Anmerkung: Die Modernisierung des Arbeitsrechts in der 18. Legislaturperiode, jurisPR – ArbR 49/2013).

Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG.

(1) Der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG enthält keine Konkretisierung des Begriffes „vorübergehend“. Dort heißt es schlicht: „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend“. Weitergehende Anhaltspunkte zur Auslegung des Begriffs sind dem Wortlaut des AÜG nicht zu entnehmen.

(2) Ziel des Gesetzgebers war es, eine flexible Zeitkomponente zu schaffen und auf genau bestimmte Höchstüberlassungsgrenzen zu verzichten. (BT-Drucksache 17/4804 S. 8; BAG vom 10.07.2013 – Rz. 39). Der zu berücksichtigende Schutzzweck des Verbotes der nicht nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung hat zwei Komponenten. Es dient dem Schutz der Leiharbeitnehmer und auch dem kollektiven Interesse der Belegschaft des Entleiherbetriebes, indem es deren Spaltung in eine entliehene und eine Stammbelegschaft begrenzt (BAG a.a.O, Rz. 42).

(3) Hintergrund der zum 01.12.2011 durch das Missbrauchsverhinderungsgesetz vorgenommenen Gesetzesänderung in Form der Aufnahme des Satzes „Die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher erfolgt vorübergehend“ war die sich aus der Leiharbeitsrichtlinie ergebende und vom Gesetzgeber aufgegriffene Verpflichtung zur Umsetzung des Unionsrechtes. So auch die Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/4804. S. 8). Für die Mitgliedstaaten normierte Art. 11 Abs. 1 der Leiharbeitsrichtlinie eine Umsetzungsfrist bis spätestens 05.12.2011. Der deutsche Gesetzgeber wollte das Unionsrecht „vollständig, eins zu eins“ umsetzen (vgl. die BAG-Entscheidung vom 10.07.2013, a.a.O, Rz. 36 f, die das BT–Plenarprotokoll 17. Wahlperiode S. 11366 (B) zitiert). Schon vor diesem Hintergrund ist § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG unionsrechtskonform unter Berücksichtigung der Intention der Leiharbeitsrichtlinie zu betrachten.

(4) Die richtlinienkonforme Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und der Wille des deutschen Gesetzgebers, mit dem Missbrauchsverhinderungsgesetz die Leiharbeitsrichtlinie umsetzen zu wollen, ergibt, dass in Anlehnung an das Befristungsrecht die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern mit Daueraufgaben unzulässig, da nicht mehr vorübergehend ist (so auch Düwell ZESAR 2011, 449, 453 f; Düwell, Anmerkung: Die Modernisierung des Arbeitsrechts in der 18. Legislaturperiode, JurisPR – ArbR 49/2013). Maßgebend für das aus der Leiharbeitsrichtlinie abzuleitende Verbot der nicht vorübergehenden Überlassung ist nicht allein, wie lange der einzelne Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb verweilt, sondern auch, ob sein Einsatz auf einem Arbeitsplatz erfolgt, auf dem vorübergehend Aufgaben oder dauerhaft Arbeitsaufgaben anfallen (Düwell, JurisPR-ArbR 49/13 – Stichwort Arbeitnehmerüberlassung m.w.N., Düwell, ZESAR 2011, 449, 452; teilweise modifizierend Hamann, RdA 2011, 322, 326: anerkennenswerter Grund; Ulber/Ulber, AÜG, 4. Aufl., § 1 Rn. 230u ff: sowohl arbeitnehmerbezogen auf die Dauer des Einsatzes des Leiharbeitnehmers beim Entleiher als auch arbeitsplatzbezogen auf den beim Entleiher zu besetzenden Arbeitsplatz; Brors, ArbuR 2013, 108, 112: berechtigtes Flexibilisierungsinteresse).

(5) Das folgt auch aus Art. 5 Abs. 5 S. 1 der Leiharbeitsrichtlinie. Danach ergreifen die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen gemäß ihren nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten, um […] insbesondere aufeinanderfolgende Überlassungen, mit denen die Bestimmungen der Richtlinie umgangen werden sollen, zu verhindern. Mit dieser Regelung hat der Richtliniengeber zum Ausdruck gebracht, dass er aufeinanderfolgende Überlassungen (Karussell für Leiharbeitnehmer) grundsätzlich als rechtsmissbräuchlich ansieht, da sie geeignet sind, die Bestimmungen der Leiharbeitsrichtlinie zu umgehen.

(6) Rechtsmissbräuchliche Arbeitnehmerüberlassung und damit eine Umgehung der Leiharbeitsrichtlinie muss dann auch bei Befriedigung von Dauerbeschäftigungsbedarf durch den Einsatz von Leiharbeitnehmern beispielsweise auf Dauerarbeitsplätzen gelten. Dadurch würden den entsprechenden Leiharbeitnehmern die bei dem Entleiher geltenden, in der Regel besseren Arbeitsbedingungen vorenthalten, obwohl der Leiharbeitnehmer aufgrund des dauernden Beschäftigungsbedarfs bei dem Entleiher als Stammarbeitnehmer eingestellt werden könnte. Die Leiharbeit darf jedoch gerade nicht zur Umgehung tariflicher Arbeitsbedingungen missbraucht werden (LAG Niedersachsen vom 19.9.2012 – 17 TaBV 124/11 – zitiert nach Juris, Rz. 30; LAG Berlin vom 21.03.2013 – 18 TaBV 2150/12 – zitiert nach juris, Rz. 51 m.w.N.).

(7) Für die Unzulässigkeit der Befriedigung von Dauerbeschäftigungsbedarf mit Leiharbeitnehmern sprechen ferner die Erwägungsgründe 8 und 11 der Leiharbeitsrichtlinie. Danach soll dem Flexibilisierungsbedarf der UN Rechnung getragen und die Flexibilität gefördert werden. Nach herrschendem Verständnis ist damit gemeint, dass der Arbeitgeber flexibel auf Auftragsspitzen sowie Vertretungsbedarf reagieren können soll. Die Auslegung, dass die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern nicht zur Befriedigung von Dauerbeschäftigungsbedarf genutzt werden darf, führt gerade nicht zu einer generellen Außerachtlassung des von der Richtlinie geschützten Flexibilisierungsinteresses. Auftragsspitzen sind von der Natur der Sache her „vorübergehend“, anderenfalls wären sie keine Spitzen. Gleiches gilt für sonstige zeitlich befristete Ereignisse, die nicht über die Beschäftigung der Stammbelegschaft abgedeckt werden können. Leiharbeitnehmer können daher z.B. auf Dauerarbeitsplätzen beschäftigt werden, wenn dies aufgrund Vertretungsbedarfs für den auf dem Dauerarbeitsplatz an sich beschäftigen Arbeitnehmer erforderlich ist (vgl. auch LAG Berlin vom 1.3.2013 – 9 TaBV 2112/12, Rz. 42). Dann arbeiten sie aushilfsweise und nehmen damit eine nur vorübergehende Aufgabe wahr. Bei der Abdeckung eines ständigen Beschäftigungsbedarfs ersetzt der Leiharbeitnehmer einen an sich benötigten Stammarbeitnehmer. Das zu ermöglichen ist nicht vom Schutzzweck der Richtlinie gedeckt. Eine solche Vorgehensweise stellt vielmehr institutionellen Rechtsmissbrauch dar. Der in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG aufgenommene Begriff „vorübergehend“ darf daher im Rahmen der unionsrechtskonformen Auslegung nur dahingehend konkretisiert werden, dass je nach Fallkonstellation sowohl eine personenbezogene als auch eine aufgabenbezogene Betrachtung zu erfolgen hat und ein Leiharbeitnehmer bei objektiv dauerhaft anfallendem Bedarf nur zur aushilfsweisen Wahrnehmung herangezogen werden darf. Anderenfalls ist sein Einsatz nicht mehr „vorübergehend“.

(8) Diese Auslegung des Begriffs „vorübergehend“ findet sich auch im deutschen Befristungsrecht wieder. Der Begriff wird in § 14 Abs. 1 Ziff. 1 TzBfG ebenfalls verwendet. Danach ist die Befristung eines Arbeitsvertrages zulässig, wenn „der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung vorübergehend ist“. Eine Definition des Begriffs „vorü- bergehend“ erfolgt durch den nationalen Gesetzgeber auch dort nicht. Mangels anderer greifbarer Anhaltspunkte kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber dem gleichen Begriff in unterschiedlichen Gesetzen einen unterschiedlichen Inhalt geben wollte. Es ist davon auszugehen, dass er dieses dann in dem jeweiligen Gesetz durch entsprechende Begriffsdefinition formuliert hätte. Derartige Begriffsdefinitionen sind durchaus üblich, wie sich beispielsweise aus §§ 2 und 2 TzBfG ergibt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der „vorübergehende Bedarf“ z.B. darauf beruhen, dass für einen begrenzten Zeitraum in dem Betrieb zusätzliche Arbeiten anfallen oder auf einer zeitweise übernommenen Sonderaufgabe oder auf einer im Bereich der Daueraufgaben des Arbeitgebers vorübergehend angestiegenen Arbeitsmenge, für deren Erledigung das vorhandene Personal nicht ausreicht. Das Personal kann auch nur zeitlich begrenzt nicht ausreichen. Maßgeblich ist, dass im Betrieb nur ein zeitweiliger Bedarf besteht (vgl. nur BAG vom 17.03.2010 – 7 AZR 640/08 – zitiert nach Juris, Rz. 11 f m.w.N.). Mit diesem Inhalt ist daher auch der vom nationalen Gesetzgeber erneut in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG verwendete Begriff „vorübergehend“ zu konkretisieren.

Das gilt umso mehr als die Intention des Befristungsrechts auch im Unionsrecht in der Leiharbeitsrichtlinie aufgegriffen wurde. Das ergibt sich aus dem bereits erwähnten Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie.

(9) Letztendlich ergibt sich auch keine andere Betrachtungsweise, wenn beim Arbeitgeber – wie vorliegend bei der Beteiligten zu 1 – kein Stammarbeitsplatz im Stellenplan ausgewiesen ist. Maßgeblich kann allein sein, ob objektiv dauerhaft eine Daueraufgabe vorliegt, die der Arbeitgeber zu bewältigen hat. Es kann nicht darauf ankommen, ob für diese tatsächlich vorhandene Daueraufgabe eine Planstelle geschaffen worden ist. Anderenfalls hätte es der Arbeitgeber selbst in der Hand, durch schlichte Deklaration bzw. eigenen Organisationsakt die Anwendbarkeit des AÜG zu unterlaufen. Auf nach Ansicht der Kammer vergleichbare Ansatzpunkte in der Rechtsprechung des BAG zum Befristungsrecht, beispielsweise in der Entscheidung vom 9.3.2011 – 7 AZR 47/10 zur Haushaltsbefristung, wird verwiesen.

dd) Die nach bereits vorangegangener zweijähriger Beschäftigung erneute, auf weitere zwei Jahre befristete Einstellung der Leiharbeitnehmerin P… ist nicht mehr nur vorübergehend im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG. Ihre Einsatzzeit auf der Assistenzstelle im Bereich FOB beläuft sich mit Blick auf die vorgesehene Befristung bis zum 31.03.2015 bereits auf vier Jahre. Es besteht unstreitig objektiv ein Dauerbedarf für eine Assistenzstelle in der Abteilung FOD, auf der zehn Ingenieuren und vier Führungskräften zuzuarbeiten ist. Damit greift nicht das vom AÜG und der Leiharbeitsrichtlinie geschützte Flexibilisierungsinteresse. Es liegt weder eine Auftragsspitze vor noch ein Vertretungsbedarf oder ein sonstiger Aushilfsgrund. Sowohl bei aufgabenbezogener als auch bei personenbezogener Betrachtung ist die Überlassung der Leiharbeitnehmerin P. nicht nur vorübergehend und verstößt deshalb gegen das in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG enthaltene Verbot.

4. Aus den genannten Gründen war der Beschwerde der Erfolg versagt.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde für die Beteiligte zu 1 folgt wegen grundsätzlicher Bedeutung aus §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG.

Quelle: Entscheidungssammlung der Arbeitsgerichtsbarkeit Schleswig-Holstein

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