Aus aktuellem Anlass der Causa Andrej Holm stellt sich die Frage, ob und wann ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter kündigen darf, weil dieser eine Mitarbeit im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) bei der Einstellung wahrheitswidrig verneint hat.
Von Rechtsanwalt Nikolai Rupay Dahm
Der aktuelle Fall Holm
Der im Dezember 2016 zum Bau-Staatssekretär ernannte und inzwischen zurück getretene Andrej Holm verpflichtete sich als 14-Jähriger zum Wehrdienst bei der Stasi, auf Empfehlung seines Vaters. Mit 18 Jahren wurde er im September 1989 als Offiziersschüler vereidigt. Im Januar 1990 wurde dieses Dienstverhältnis beendet. Zu den Aufgaben seiner kurzen Karriere gehörte das Auswerten von Berichten, also eine Schreibtischarbeit. Da hat er persönlich höchstwahrscheinlich niemandem geschadet, sagt Prof. Dr. Klaus Schroeder, Leiter des Forschungsverbundes SED-Staat der FU im rbb-Interview. Bei seiner Einstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Humboldt-Universität im Jahre 2005 gab Holm an, nicht für die Stasi tätig gewesen zu sein. Im Jahre 2011 wurde Holm erneut bei der HU eingestellt. Die Humboldt-Universität wertete die falschen Angaben nun als „arglistige Täuschung“ und kündigte das Arbeitsverhältnis mit Herrn Holm.
Wie ist der Fall aus arbeitsrechtlicher Sicht zu bewerten?
Allgemein gilt: Macht ein Bewerber oder eine Bewerberin falsche Angaben über verkehrswesentliche Eigenschaften, darf der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anfechten oder bei späterer Kenntnis von der Täuschung kündigen. Aber was sind verkehrswesentliche Eigenschaften einer Bewerberin?
Bewirbt sich jemand als deutsch-französischer Dolmetscher, dann ist die Fähigkeit, französisch zu sprechen, eine verkehrswesentliche Eigenschaft dieser Person. Ohne die Eigenschaft könnte sie die Arbeit gar nicht erledigen. Bewirbt sich jemand als Chauffeurin oder Kraftfahrerin, so ist die Fahrerlaubnis auch eine verkehrswesentliche Eigenschaft. Behauptet sie, sie habe einen Führerschein, obwohl sie keinen hat, liegt auch darin ein Anfechtungs- oder Kündigungsgrund
Wann darf ich im Bewerbungsgespräch lügen?
Anders wäre es, wenn sich eine Stationsärztin auf die Stelle des Oberarztes bewirbt und auf die Frage, ob sie denn einen Führerschein habe, wahrheitswidrig mit „Ja!“ antwortet. Zwar hat sie ihren Arbeitgeber belogen. Es handelt sich jedoch nicht um eine verkehrswesentliche Eigenschaft, da sie den Führerschein nicht für die Arbeit braucht. Ein Anfechtungs- oder Kündigungsgrund liegt nicht vor. Auch eine schwangere Frau, die gefragt wird, ob sie schwanger ist, darf lügen. Denn die Schwangerschaft ist keine verkehrswesentliche Eigenschaft – selbst dann nicht, wenn die Stelle befristet ist und die Frau dort niemals auch nur eine Stunde arbeiten wird. Der Mutterschutz hat in solchen Fällen Vorrang.
Welche Straftaten dürfen verschwiegen werden?
Etwas kniffliger wird die Sache bei Straftaten. Müssen Sie im Bewerbungsgespräch alle ihre begangenen Fehltritte offenlegen, wenn der Arbeitgeber (in spe) Sie danach fragt: die kleine Schlägerei mit 17, die Beamtenbeleidigung mit Mitte 20, die überfahrene rote Ampel vor fünf Jahren und die Steuerhinterziehung im vorletzten Jahr? Nein.
Der Arbeitgeber darf nur dann nach Vorstrafen fragen, wenn dies im Zusammenhang zur Arbeit steht und die erfragte Information für die Tätigkeit essentiell ist, sonst ist Lügen erlaubt! Eine Finanzbeamte sollte keine Steuern hinterzogen haben, ein Krankenpfleger keine lange Liste an Körperverletzungen hinter sich herschleppen. Ein Erzieher darf nicht wegen Kindesmissbrauchs und ein Kassierer nicht wegen Unterschlagung vorbestraft sein. Andersherum sind aber Körperverletzungen für die Schreibtischarbeit im Finanzamt oder den Kassierer irrelevant und ob mein Krankenpfleger Steuern hinterzogen hat, geht mich nichts an. Hier besteht keine Gefahr, dass es auf der Arbeit zu einer Wiederholung der Straftat kommt. Denn sonst würden all diejenigen, die aus dem Gefängnis entlassen werden nie wieder Arbeit finden, auch wenn es der einzige Fehltritt ihres Lebens war Sie wären bis in die ferne Zukunft verdammt, arbeitslos und frustriert herumzuhängen – Straftaten würden gewaltig zunehmen. Das will niemand. Jeder hat ein Recht auf eine zweite Chance, nur nicht in genau dem Bereich, wo er oder sie eine Straftat begangen hat.
Welche Rolle spielt die Stasi-Vergangenheit für das Arbeitsverhältnis?
Nun stellt sich die Frage: ist eine zwanzig Jahre zurückliegende Mitarbeit bei der Stasi eine verkehrswesentliche Eigenschaft für die Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeit an der Universität zum Thema Stadtpolitik? Besteht ein innerer Zusammenhang zwischen der Tat und der konkreten Arbeitsaufgabe? Erfordert diese Tätigkeit eine besondere persönliche Integrität, sodass jemand wegen einer vergangenen Stasitätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter untauglich ist? Besteht die Gefahr, dass auf der Arbeit eine früher begangene Tat wiederholt wird, etwa ein mit der Stasitätigkeit verbundener Machtmissbrauch? Wenn diese Fragen mit Nein beantwortet werden, darf im Bewerbungsgespräch gelogen werden.
Ein ehemaliger Informeller Mitarbeiter (IM) ist für den Umgang mit persönlichen Daten wenig vertrauenswürdig und hat etwa im Amt der Datenschutzbeauftragten nichts zu suchen. Außerdem steht bei ehemaligen IM der Opferschutz im Mittelpunkt. Ich möchte nicht, dass über meinen Renten-, Arbeitslosengeld- oder Bauantrag jemand entscheidet, der mich früher ausspioniert hat, oder von dem ich weiß, dass er früher Menschen ausspioniert hat, oder das so jemand weiterhin in meiner Straße als Polizist Streife fährt.
Im Fall Holm müsste gegebenenfalls geprüft werden, was genau er bei der Stasi getan hat und ob es überhaupt irgendwelche „Opfer“ seiner Tätigkeit gegeben hat. Der Vorwurf, dass Herr Holm andere Menschen bespitzelt hat, steht jedoch gar nicht im Raum. Er war gerade kein informeller Mitarbeiter. Stattdessen sieht es eher so aus, als habe er seinen Wehrdienst im Stasi-Regiment angetreten.
Wie lange müssen einschlägige Verurteilungen im Bewerbungsgespräch offenbart werden?
Einmal angenommen, Herr Holm hätte bei Stasi so massiv die Rechte anderer Bürger verletzt, dass er für die konkreten Aufgaben des Arbeitsverhältnisses an sich untauglich wäre, weil die Arbeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dieser Hinsicht besondere Anforderungen stellt: würde diese Untauglichkeit für den Rest seines Lebens bestehen oder ist die MfS-Vergangenheit irgendwann „verjährt“?
Bei strafrechtlichen Vorstrafen ist das so: Wenn ich erst gestern für einen Tankstellenraub verurteilt wurde, leuchtet es ein, dass man mich morgen nicht als Kassierer einstellen will. Was aber, wenn der Diebstahl des Lippenstiftes schon zehn straffreie Jahre zurück liegt?
Hier gibt das Bundeszentralregistergesetz (BZRG) Aufschluss: Gemäß § 53 BZRG kann sich jeder als unbestraft bezeichnen – auch auf direkte Frage im Bewerbungsgespräch – wenn die Verurteilung aus dem Bundeszentralregister getilgt wurde. Nach §§ 45, 46 BZRG beträgt die Tilgungsfrist fünf Jahre bei kleineren Strafen, zehn Jahre unter anderem bei Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr mit Bewährung. Im Übrigen gilt eine Tilgungsfrist von 15 Jahren mit Ausnahme von sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen: dieser ist erst nach 20 Jahren aus dem Führungszeugnis zu tilgen. Lediglich die lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes ist nicht zu tilgen.
Das durchschnittliche Strafmaß wegen Totschlags beträgt in Deutschland etwa 6,5 Jahre, bei Raub wird durchschnittlich zu 2,4 Jahren verurteilt, wegen Betruges zu durchschnittlich einem Jahr. (Quelle: destatis)
Über einen Totschlag hätte Herr Holm lügen dürfen
Hätte Herr Holm Anfang 1990 einen Betrug begangen, geahndet mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung, hätte er sich ab dem Jahr 2000 als unbestraft bezeichnen dürfen. Bei einem Raub, Totschlag oder einer Vergewaltigung im Jahr 1990 hätte die Tilgungsfrist 15 Jahre betragen und er hätte die Tat spätestens ab 2005 verschweigen dürfen – sogar dann wenn der Arbeitgeber ein Fragerecht wegen eines engen Zusammenhangs zwischen Straftat und Arbeitstätigkeit gehabt hätte. Im Falle eines Kindesmissbrauchs beträgt die Tilgungsfrist 20 Jahre. Erst im Jahr 2010 hätte eine solche Tat aus dem Jahr 1990 im Bewerbungsgespräch verheimlicht werden dürfen.
Und die Stasitätigkeit? Die ist im Bundeszentralregistergesetz nicht geregelt. Die Mitarbeit von Herrn Holm im MfS liegt nun 27 Jahre zurück. Als er bei der HU zuletzt im Jahr 2011 angestellt wurde, lag sie bereits 21 Jahre zurück. Zu diesem Zeitpunkt hätte er mit Ausnahme von Mord jegliche Straftat, die er 1990 begangen hätte, verschweigen dürfen, mit der Folge, dass der Arbeitgeber ihm auch nicht mehr wegen einer diesbezüglichen „Lüge“ hätte kündigen können.
Gelten Besonderheiten im öffentlichen Dienst?
Allerdings sind für den öffentlichen Dienst Besonderheiten zu beachten. Insbesondere Beamte müssen nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz geeignet für den Staatsdienst sein. Das sind nur Personen, die fähig und bereit sind etwa die Freiheitsrechte der Bürger und rechtsstaatliche Regeln einzuhalten. Auch hier gelten bei Vorstrafen jedoch die Tilgungsfristen des BZRG (BAG, Urteil vom 20.3.2014 – 2 AZR 1071/12). Fraglich ist jedoch, ob ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität überhaupt mit sonstigen Beamten vergleichbar ist. Die Universität ist schließlich keine weisungsgebundene Behörde und ein wissenschaftlicher Mitarbeiter nimmt kaum hoheitliche Aufgaben wahr.
Zwar hat sowohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Urteil vom 08.07.1997 – 1 BvR 2111/94), als auch das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 26.08.1993 – 8 AZR 561/92) entschieden, dass es öffentlichen Arbeitgebern gestattet sei, in Personalfragebögen nach einer früheren Stasi-Tätigkeit zu fragen. Diese Urteile sind jedoch aus den neunziger Jahren, als die Tilgungsfristen noch nicht abgelaufen waren. Seit diesen Urteilen sind 20 Jahre und mehr vergangen.
Gibt es Urteile in ähnlichen Fällen?
Im Jahr 2001 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass zu Gunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt werden muss, wenn die MfS-Tätigkeit sich zeitlich auf die Wehrpflicht des Betreffenden beschränkte und die Berichte inhaltlich nicht über dienstliche Belange hinausgingen (BAG, Urteil vom 21.06.2001 – 2 AZR 291/00). Es wurde also auf die konkreten „Taten“ im Namen des MfS geschaut. Im selben Jahr entschied das BAG auch, dass die frühere Stasi-Tätigkeit, ähnlich wie Vorstrafen, nur ausnahmsweise geeignet sind, eine Kündigung zu rechtfertigen, nämlich wenn für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit eine besondere Integrität erforderlich ist, wie z.B. bei Mitarbeitern in Vertrauensstellungen (BAG 25.10.2001 – 2 AZR 559/00).
Bereits im Jahr 1999 hat das Bundesarbeitsgericht die Kündigung eines Universitätsmitarbeiters wegen verschwiegener Stasi-Mitarbeit für unwirksam erklärt (BAG, 16.09.1999 – 2 AZR 902/98): Eine frühere Tätigkeit als IM könne eine Kündigung nur begründen, wenn sie ein solch durchschlagendes Gewicht hat, dass sie auch heute noch die Feststellung fehlender Eignung rechtfertigt. Demnach sei zu berücksichtigen, wie schwerwiegend die MfS-Zusammenarbeit war, dass – im dortigen Fall – die Verpflichtungserklärung im Alter von 17 Jahren erfolgte und die Zusammenarbeit nur kurze Zeit, nämlich sieben Monate, dauerte. Auch komme es darauf an, wie lange die Tätigkeit für das MfS zurückliegt (ebenso BVerfG 08.07.1997 s.o.).
Schlechte Karten für die Humboldt-Universität
Zusammenfassend ist eine Kündigung wegen früherer Stasi-Mitarbeit heute arbeitsrechtlich nicht mehr zu halten. Selbst wenn ein starker sachlicher Zusammenhang zwischen einer Spitzeltätigkeit als IM und der angestrebten Stelle beispielsweise als Seelsorger, der in besonderer Weise zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, bestünde, dürfte dies – über ein Vierteljahrhundert nach Auflösung des MfS – mit Blick auf die Tilgungsfristen keine Rolle mehr spielen. Wenn jemand nach 15 Jahren eine Totschlag verschweigen darf, muss dies erst recht für eine 25 Jahre zurückliegende Stasi-Mitarbeit gelten. Niemand wird ernsthaft behaupten, eine Stasi-Tätigkeit sei schlimmer als ein Totschlag oder eine Vergewaltigung, zumal wenn niemand bespitzelt wurde und die Tätigkeit nur 5 Monate dauerte.