Streiks nerven – sind aber viel zu selten

Dänen streiken 18-mal so oft – Löhne dadurch viel höher.
Aktuell befinden sich viele unserer Mandant/innen, die als Bodenpersonal am Flughafen, als Krankenhauspersonal oder im öffentlichen Dienst arbeiten, im Arbeitskampf. Mit ver.di streiken und kämpfen sie für neue, bessere Tarifverträge und z.B. gegen sachgrundlose Befristungen. Einige Warnstreiks haben bereits stattgefunden, noch mehr werden folgen.

Von Rechtsanwalt Nikolai Rupay Dahm

 

Streiks können extrem nerven
Sie stehen mit gepackten Koffern am Flughafen, aber die Urlaubsvorfreude ist verflogen: Das Bodenpersonal streikt. Der Flug wurde gestrichen, die Kinder quängeln. – Wenn Sie in der Notaufnahme statt der 4 Stunden jetzt sogar 10 Stunden warten müssen, weil gestreikt wird – mit dringend zu behandelnder Erkrankung – lässt das das Herz zwar höher schlagen, aber bestimmt nicht vor Freude. Ganz zu schweigen von all den Unannehmlichkeiten, die mit einem Streik bei S-Bahn- oder U-Bahn einhergehen: lange Wartezeiten, verpasste Termine, Stress und Ärger. Was soll der Quatsch? Wieso streiken die denn jetzt schon wieder?

Niedriglöhne, Überstunden, Überlastung – weil zu wenig gestreikt wird
Dennoch wird in Deutschland viel zu wenig gestreikt, gerade auch im Vergleich zu anderen Ländern. Denn Streiks haben eine wichtige Funktion: Sie sind das einzige Mittel, um sowohl höhere Löhne, als auch eine Verbesserung der sonstigen Arbeitsbedingungen, wie bessere Arbeitszeiten, mehr Urlaub, Entfristungen, längere Ruhezeiten oder höhere Nacht- und Sonntagszulagen zu erkämpfen. Die Arbeitgeber sitzen zwar gegenüber den einzelnen Mitarbeiter/innen stets am längeren Hebel – nicht aber wenn sich die Belegschaft gewerkschaftlich organisiert und streikt.

Die Dänen streiken fast 18-mal so viel wie die Deutschen. Das zeigt sich auch an den Löhnen.
In Deutschland fielen pro 1000 Beschäftigte im Zeitraum von 2006 bis 2015 lediglich 7 Arbeitstage pro Jahr wegen Streiks aus. In Dänemark waren es stattdessen satte 120 Arbeitstage Streik, in Frankreich 117 (Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft). Die Auswirkungen der Streiks zeigen sich an den Einkommen: von dem Jahr 2000 bis 2013 stiegen die Reallöhne in Dänemark um 14,5 % und in Frankreich um 8,2 %. In Deutschland sind sie im gleichen Zeitraum um 1,5 % gesunken! (DGB Verteilungsbericht 2016) Und das trotz steigender Unternehmensgewinne in Deutschland. Nur in Spanien und Italien sind die Löhne im gleichen Zeitraum noch stärker gesunken.

Wirtschaft wächst, Unternehmensgewinne steigen – Löhne aber nicht
In Deutschland ist die Wirtschaft (Bruttoinlandsprodukt) in den Jahren 2000 bis 2015 um 18 % gewachsen, die Gewinne der Unternehmen haben kräftig zugenommen. Die Reallöhne, also das, was am Ende im Portemonnaie landet, haben bis 2013 jedoch abgenommen und sind erst in den letzten Jahren wieder leicht gestiegen. Ende 2014 lagen die durchschnittlichen Bruttolöhne je Beschäftigter inflationsbereinigt nur um 1,4 Prozent höher als im Jahr 2000. Vor allem Gutverdiener haben noch mehr bekommen. Untere Lohngruppen sind häufig noch weiter gesunken.

All diejenigen, die ihr Einkommen nicht mit Ihrer eigenen Hände Arbeit verdienen, sondern durch Kapitalanlagen oder Unternehmensgewinne, konnten ihr Einkommen hingegen kräftig steigern, inflationsbereinigt um satte um 32,9 % (DGB Verteilungsbericht 2016). Dadurch werden die Reichen in Deutschland immer reicher, der Großteil der Bevölkerung jedoch immer ärmer.

Extreme Ungleichheit in Deutschland
In kaum einem anderen Industrieland sind Einkommen und Vermögen so ungleich verteilt wie in Deutschland. Während 10 % der Bevölkerung etwa 60 % des Vermögens haben, besitzen rund 30 % überhaupt keine Ersparnisse oder sind sogar verschuldet.

Geringe Löhne und Ungleichheit führen auch zu erheblichen Problemen für die Wirtschaft, weil die „Binnennachfrage“ abnimmt: Das heißt, die in Deutschland arbeitenden Menschen, können sich die Produkte, die in Deutschland produziert werden, immer seltener leisten. Deutschland wird immer mehr vom Export abhängig.

Was tun? Mehr streiken.
Nur durch Streiks können Lohnsteigerungen durchgesetzt werden. Wenn Unternehmensgewinne steigen, müssen auch die Löhne steigen. Das erreicht man nur mit Streiks. Doch was habe ich davon, wenn das Bahnpersonal mehr Geld bekommt, obwohl ich gar nicht dazu gehöre? Sehr viel. Wenn die Schaffnerin bei der Bahn, nach einem Streik 7 % mehr Lohn bekommt, ist es auch für die Bäckereiverkäuferin oder für das Sicherheitspersonal am Flughafen leichter, 7 % mehr zu erkämpfen. Auch Erzieher/innen, im Krankenhaus Beschäftigte und alle anderen wollen das dann auch und bekommen es auch viel einfacher. Sogar der Mindestlohn nimmt dann zu, weil er durch jeden Tarifvertrag beeinflusst wird.

Streikende unterstützen!
Aber ein Streik ist harte Arbeit und 7% sind nur schwer zu erkämpfen. Es setzt nicht nur eine perfekte gewerkschaftliche Organisation und Zusammenhalt in der Belegschaft voraus, sondern auch ein dickes Fell. Denn wer streikt, bekommt häufig nicht nur Freundliches oder Unterstützendes zu hören. Umso wichtiger ist es deshalb die Streikenden zu unterstützen, zu ermutigen oder bei einfach geduldig zu sein, wenn es wegen dem Streik alles ein wenig länger dauert. Irgendwann schaffen wir es dann, die Streiktage aufs 18-fache zu steigern, so wie die Dänen.

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