Keine Kündigung wegen Flüchtigkeitsfehlern – Das Recht zum Nicht-perfekt-Sein

Jeder macht mal Fehler. Aus Versehen ein falsches Teil verbaut, ein Schnitt zu viel in die Frisur, eine falsche Krankheit diagnostiziert, im Einzelfall falsch beraten oder ein Tippfehler im Zeitungsartikel. Kein Mensch ist perfekt und wo gehobelt wird, fallen Späne.

Von Rechtsanwalt Nikolai Rupay Dahm

Kann der Arbeitgeber wegen solcher Fehler abmahnen oder kündigen? Kurz gesagt: kaum, und zwar aus gutem Grund. Denn eine hohe Fehlerquote kann auch an schlechtem Werkzeug, fehlenden Pausen, schlechtem Betriebsklima, ungenauen Anweisungen oder etwa einer Krankheit oder Behinderung der Mitarbeiterin liegen.

Erst kürzlich verhandelten wir vor dem Arbeitsgericht einen solchen Kündigungsfall. Die Produktionsmitarbeiterin hatte in der Nachtschicht von mehreren tausend produzierten Teilen, die sich sehr ähnlich sehen, einige Teile vertauscht. Sie erhielt mehrere Abmahnungen und dann eine Kündigung. Die Kündigung war unwirksam und auch die Abmahnungen waren rechtswidrig.

Eine Arbeitnehmerin – oder ein Arbeitnehmer – schuldet kein bestimmtes Arbeitsergebnis, sondern ihre durchschnittliche Arbeitsleistung (Bundesarbeitsgericht, 11.12.2003 – 2 AZR 667/02). Durchschnittlich, weil kein Mensch permanent Bestleistungen erbringen kann. Eine Arbeitnehmerin wird pro Stunde oder pro Monat bezahlt, nicht nach dem Ergebnis ihrer Arbeit. Sie muss während der bezahlten Arbeitszeit so gut arbeiten, wie sie kann. Tut sie das nicht, weil sie auf dem Smartphone spielt, von einer Kaffee- zur nächsten Zigarettenpause trödelt oder im vollen Bewusstsein pfuscht, verletzt sie ihre arbeitsvertraglichen Pflichten. Dann kann ihr die Chefin kündigen oder sie zumindest abmahnen. Das betrifft jedoch nur absichtliche oder fahrlässige Fehler.

Etwas anderes gilt bei unbeabsichtigten Fehlern. Hier kann der Arbeitgeber nicht so einfach abmahnen oder kündigen, wie aus der sogenannten „low-performer-Rechtsprechung“ des Bundesarbeitsgerichts hervor geht. Denn irgendwer ist immer das „Schlusslicht“ im Betrieb, also die Langsamste, der Ungeschickteste oder die Person mit der höchsten Fehlerquote. Wird diese Person gefeuert, ist zwangsläufig die nächste Person „das Schlusslicht“ und so weiter. So könnte man nach und nach sämtlichen Mitarbeiter/innen kündigen.

Tatsächlich ist die Mitarbeiterin verpflichtet, so gut, genau und schnell zu arbeiten, wie es ihr persönlich möglich ist. Dazu gehört auch, dass man sich an manchen Tagen besser konzentrieren kann, als an anderen, oder nachmittags ein Müdigkeitstief hat. Gerade bei Nachtarbeit lässt die Konzentration zwangsläufig nach. Will der Arbeitgeber kündigen, muss er beweisen, dass die Mitarbeiterin schlechter gearbeitet hat, als sie es gekonnt hätte.

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt: „Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann.“ Er schuldet das „Wirken“ und nicht das „Werk“ (BAG 31. 5.1992 – 2 AZR 551/91; BAG, 17.01.2008 – 2 AZR 536/06). Selbst eine 3-fach höhere Fehlerquote als der Abteilungsdurchschnitt berechtigt noch nicht zur Kündigung (BAG, 17.01.2008 – 2 AZR 536/06).

Ausnahme: Nur wenn jemand so unglaublich schlecht arbeitet, dass dem Unternehmen ein unzumutbarer Schaden entsteht und sich das Problem auch nicht anderweitig beheben lässt, kann der Arbeitgeber kündigen. Aber die Hürden hierfür sind hoch. Der Arbeitgeber muss zunächst einmal herausfinden, welche Leistungen alle Beschäftigten mit der gleichen Aufgabe durchschnittlich erbringen. Dann muss er beweisen, dass der Mitarbeiter, dem er kündigen will, sehr viel schlechter als der Durchschnitt arbeitet, also erheblich langsamer oder fehlerhafter. Dadurch muss dem Arbeitgeber ein erheblicher finanzieller Schaden entstehen, den er auch beweisen muss. Vor allem aber muss ausgeschlossen sein, dass das Problem beim Betriebsablauf liegt, etwa in suboptimalen Arbeitsprozessen, schlechten Arbeitsbedingungen, Arbeitsgerät oder Fehlern in der Personalführung (BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06).

Doch damit nicht genug: denn jetzt muss der Arbeitgeber darlegen, dass die Fehler nicht anders – etwa durch Hilfsmittel oder veränderte Arbeitsprozesse vermieden werden können. Einem Zeitungsredakteur mit Rechtschreibschwäche könnte mit einer automatischen Rechtschreibkorrektur geholfen werden, einer rheumakranken Arbeiterin können ergonomische Werkzeuge helfen, die fehldiagnostizierende Ärztin könnte zu Weiterbildungen geschickt werden. Außerdem muss geprüft werden, ob die Mitarbeiterin nicht woanders eingesetzt werden kann. Vielleicht ist die Ärztin in der Kardiologie eingesetzt, obwohl sie eine gute Chirurgin wäre. Die Rechtschreibschwäche des Journalisten wäre im Radio nicht so relevant wie bei der Zeitung usw.

Wenn es keinen anderen Ausweg gibt, kommt eine Kündigung in Betracht. Allerdings darf auch hier nicht z.B. wegen einer Behinderung diskriminiert werden. So könnte Legasthenie oder auch eine chronische Rheumaerkrankung durchaus als Behinderung klassifiziert werden.

Summa summarum gilt also: wer so gut arbeitet, wie er oder sie kann, und dennoch aus Versehen Fehler macht, braucht eine Kündigung oder Abmahnung nicht zu fürchten. Wird dennoch gekündigt, ist die Kündigung rechtswidrig und unwirksam, wenn innerhalb von 3 Wochen nach Erhalt der Kündigung dagegen geklagt wird. Deswegen gilt: bei Kündigung sofort zum Anwalt oder zur Anwältin des Vertrauens gehen!

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